Modul 7: Von einem programmatischen zu einem systemischen Wandel
Einleitung
Wenn Jean Piaget die Aneignung in Verbindung mit einem Lernprozess beschreibt, durch welchen das Bewusstsein für die äußere Welt internalisiert wird, identifiziert er zwei Typen von Wandel: Assimilation und Akkomodation. Bei Assimilation, bei der das Gelernte internalisiert wird, ohne dass sich die interne Struktur des Vorwissens ändern, bleibt die Repräsentation der Welt strukturell unverändert. Bei Akkomodation führt das Gelernte zu einer Dissonanz, die eine Strukturänderung zur Folge hat, damit das Gelernte internalisiert zu werden kann – denken Sie dabei an die Kämpfe der römischen Katholiken gegen das heliozentrische Weltbild.
Es handelt sich um dieselbe Art von Unterschied zwischen programmatischem und systemischem Wandel. Der programmatische Wandel kann bei der Nutzung von ePortfolios zur Unterstützung von existierenden Prozessen betrachtet werden, z.B. die Komplementierung einer Dissertation (oder sogar deren Ersatz) durch ein ePortfolio. Bei einem systemischen Wandel geht es um den Wandel der Curriculum-Struktur, der Struktur der Organisation und/oder ihrer Prozesse, z.B. werden Tests und Noten nicht mehr eingesetzt und durch Projekte stärker interdisziplinär gearbeitet, etc.
Wenn das Lernen eine Kombination von Assimilation und Akkommodation ist, dann sollte eine lernende Organisation ihre Fähigkeit demonstrieren, den programmatischen und auch systemischen Wandel zu kombinieren. Ein systemischer Wandel ist nichts anderes als eine Option, genauso wie Akkommodation eine Option für das lernende Individuum ist. Die Fähigkeit, die Notwendigkeit der Implementierung eines systemischen Wandels zu erkennen, ist ein Zeichen für eine gesunde, lernende Organisation.
Einige Schlüsselfragen dabei sind: Braucht die Arbeit mit ePortfolios einen einfachen programmatischen Wandel oder ist ein systemischer Wandel notwendig, um vollständig von Portfolios zu profitieren? Verlieren ePortfolios ihre Vorteile, wenn sie in ein bestehendes System hineingedrängt werden? Können ePortfolios als transformative Vermittler fungieren, die Bedingungen für einen systemischen Wandel schaffen?
Dies sind einige der Themen, die in diesem Modul angesprochen werden.
Anmerkung: Es gibt keinen Grund, zuerst mit einem programmatischen Wandel zu beginnen, bevor zu einem systemischen Wandel übergegangen wird. Der systemische Wandel kann direkt bei Beginn des ePortfolio-Projekts geplant werden.
Ziele des Moduls
Am Ende des Moduls können Sie…
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…eine kritische Analyse einer ePortfolio-Implementierung mittels einer SWOT-Analyse durchführen.
- …einen systemischen Wandel basierend auf den Ergebnissen der SWOT-Analyse planen
Fragen zum Aufwärmen
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Beinhaltet Ihre Vision eines ePortfolios einen systemischen Wandel?
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Verlieren ePortfolios Ihre Vorteile, wenn sie in ein bestehendes System gedrängt werden?
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Beanspruchen ePortfolios einen einfachen programmatischen Wandel oder ist ein systemischer Wandel notwendig, um bestmöglich vom ePortfolio Ansatz zu profitieren?
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Ist Ihre Organisation bereit für einen systemischen Wandel?
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Ist ein systemischer Wandel auf der organisationalen Stufe genug? Sollte es organisationsübergreifend sein?
- Können ePortfolios als transformative Vermittler fungieren, die Bedingungen für einen systemischen Wandel schaffen können?
Ein systemischer Wandel ist ein Wandel, der alle Aspekte und Stufen des Lernprozesses betrifft. Er beeinflusst und wird beeinflusst von allen, die am Prozess teilhaben (Angestellte, StudentInnen, MitarbeiterInnen, Lehrpersonen, AdministratorInnen, etc.) genauso wie von Technologie, Politik, Wirtschaft, etc.
Viele Ausbildner und AusbildnerInnen möchten einen nachhaltigen systemischen Wandel durch neuen Lehr- und Lerninitiativen unterstützen. Nichtsdestotrotz gibt es einige Fehlschläge. Wieso ist dies so? Wie kann die Wahrscheinlichkeit eines Fehlschlags minimiert werden?
ePortfolios entwickeln sich zu einem essentiellen Werkzeug für den persönlichen Entwicklungsplan (personal development planning – PDP), für Organisation der weiterführenden professionelle Entwicklung (continuing professional development – CPD), für die Anerkennung von Vorkenntnissen (accreditation of prior learning APL) und für das Karriere-Management. ePortfolios sind ein zentrales Element in einigen nationalen Lern-Strategien, wie beispielsweise in Wales, England und den Niederlanden, oder in regionalen Strategien in Queensland, Minnesota oder französischen Regionen. Über den pädagogischen Sektor hinaus haben ePortfolios in ihrem Potential für Rekrutierung, Entwicklung und Kompetenzmanagement Anerkennung bei ArbeitgeberInnen erlangt.
Trotzdem sind wir von folgenden Aspekten von weit entfernt:
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Eine nahtlose Infrastruktur über das öffentliche Angebot, Angebote für Ausbildung und Anstellung hinweg, sowie Individuen, die mit ihren ePortfolios im Mittelpunkt der ePortfolio-basierten Angebote stehen.
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Alle BürgerInnen haben einen digitalen Speicherplatz, wo sie die Früchte ihrer persönlichen und professionellen Erfahrungen sammeln und ausnutzen können, Angebote für lebensbegleitendes Lernen finden, ihre Arbeitsmarktfähigkeit managen und die Konstruktion ihrer Identität vornehmen können.
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Die Anerkennung von non-formalem und informellem Wissen, Kompetenzen sowie menschlichem und sozialem Kapital ist der zentrale Punkt beim Design und der Implementierung von ePortfolio-Infrastrukturen.
Diese Ziele zu erreichen, würde einen systemischen Wandel verlangen, beginnend mit dem Aufbruch von bestehenden Informations- und Machtverhältnisse innerhalb von Institutionen.
Mit dem Bewusstsein der Notwendigkeit für einen systemischen Wandel und der Hindernisse, diesen herbeizuführen – was sollten PraktikerInnen tun?
Stufen des systemischen Wandels
Dieser Abschnitt ist ein Auszug von “The Stages of Systemic Change” von Beverly L. Anderson (ASCD.org)
Sechs Stufen von Wandel charakterisieren die Verlagerung von einem traditionellen Ausbildungssystem zu einem, das die Vernetzung, aktives Lernen, gemeinsame Entscheidungsfindung und bessere Leistungen aller Studierenden unterstützt.
Die sechs Stufen sind:
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Erhaltung des alten Systems: AusbildnerInnen konzentrieren sich auf die Erhaltung des Systems, wie es ursprünglich entwickelt wurde. Sie erkennen nicht, dass das System nicht den Anforderungen der heutigen Welt gerecht wird. Neues Wissen zu Lehre, Lernen und organisationalen Strukturen wurde bislang nicht in die Struktur integriert.
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Bewusstwerdung: Mehrere Beteiligte werden sich darüber bewusst, dass das momentane System nicht so gut funktioniert, wie es sollte. Es ist noch unklar, was dagegen gemacht werden könnte.
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Exploration: AusbildnerInnen und politische EntscheidungsträgerInnen untersuchen und besuchen Orte, an denen bereits neue Ansätze ausprobiert werden. Sie versuchen neue Wege des Lernens und der Organisation in risikoarmen Situation zu testen.
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Erkundung: Alles deutet auf das neue System hin, eine kritische Anzahl von MeinungsführerInnen und Gruppen verpflichten sich dem neuen System und nehmen dabei Risiken in Kauf, um entscheidende Veränderungen in einigen Bereichen vorzunehmen.
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Emergenz der neuen Infrastruktur: Die mächtigeren Elemente des alten Systems operieren wie definiert nach dem neuen System. Führungskräfte beginnen damit, sich sogar bessere Systeme vorzustellen.
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Die Vorherrschaft des neuen Systems: Snažniji elementi sustava djeluju kako su i osmišeljni u novom sustavu. Ključni pojedinci započinju osmišljavati i bolje sustave.
Für Roberto Josep, Purdue University, und Charles M. Reigeluth, Indiana University, beinhaltet der konzeptuelle Rahmen des systemischen Wandels sechs große Aspekte, die wichtig für den Erfolg jeglichen systemischen Wandels sind:
1. Breite Eigentumsrechte von allen Beteiligten,
2. ein systemischer Blick auf die Ausbildung,
3. die Weiterentwicklung der Bildungsmentalität,
4. das Verstehen des systemischen Wandlungsprozesses,
5. das systemische Design, und
6. Lerngemeinschaft.
Fallstudie eines systemischen Wandels
Schulleitung für systemische Verbesserungen in Finnland. Ein Fallstudienbericht der OECD-Aktivität zur Verbesserung der Schulleitung. (School leadership for systemic improvement in Finland. A case study report for the OECD activity Improving school leadership. Source)
Kultur: Vertrauen, Kooperation und Verantwortung. Systemische Führung ist auch kulturelle Führung. (Deal and Peterson, 1999) Dies beinhaltet die Inspiration, die Stimulation und die Unterstützung von Menschen, um ihr Engagement zu stärken, Bestrebungen zu wecken und Leistungen zu verbessern. Diese Aspekte werden durch geteilte Vorstellungen und Absichten erreicht, die in gemeinsamer Handlungspraxis und Lebensstilen ausgedrückt werden. (Leithwood et al., 2006).
Organisationale Kulturen können stark oder schwach sein, kollaborativ oder individualistisch, vertrauensvoll oder misstrauisch (Hargreaves, 1994). Eine Schlüsselaufgabe der Führungsebene ist es, starke und positive Kulturen zu schaffen, die Menschen dazu motivieren und mobilisieren, die Ziele der Organisation zu erreichen.
Im Kern jeder menschlichen Beziehung, die Finnlands Ausbildungssystem und Finnlands Gesellschaft ausmacht, ist eine starke und positive Kultur des Vertrauens, der Kooperation und der Verantwortung. Vom Klassenzimmer bis hin zum Bildungsministerium – diese Kultur hat sich wiederholt für unser Besuchsteam als Schlüsselfaktor erschlossen, welcher Leistung, Problemlösung, Verbesserung und Verantwortlichkeit erklärt.
In Bezug auf die Komplexitätstheorie ist Finnland, genau wie sein sinnbildliches Unternehmen Nokia, ein selbst-korrigierendes, komplexes System, in dem negative Abweichungen durch Beteiligung und Interaktion richtiggestellt werden, anstatt durch öffentliche Bloßstellung und Intervention.
Die Planung eines systemischen Wandels
Eine Checkliste:
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Vision - Die Organisation hat eine klare ePortfolio-Vision, die festgelegt wird.
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Motivation - Die Organisation hat das Bedürfnis sich zu ändern.
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Beteiligung - Die MitarbeiterInnen sind beteiligt.
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Engagement - Es gibt Unterstützung von den wichtigsten Interessenten und Beteiligten.
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Ressourcen - Die Organisation kann alle notwendigen Ressourcen und Strategien bereitstellen, um den Wandel zu anzuordnen, zu unterstützen und zu managen.
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Bereitschaft - Die Organisation ist offen und bereit für neue Herausforderungen.
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Öffentlicher und politischer Support
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Netzwerken
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Lehr- und Lernwandel
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Administrative Rollen und Verantwortlichkeiten
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Übereinstimmung mit der Politik
Prozesse, die bei der Einführung von neuen Initiativen eine Rolle spielen:
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Beurteilung der Bereitschaft der Organisation für einen systemischen Wandel
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Definition der Größenordnung des Wandels
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Bewusstwerdung von Vorteilen des systemischen Wandels.
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Engagement der wichtigsten Stakeholder erreichen (Führungsebene, WissenschaftlerInnen, StudentInnen, MitarbeiterInnen, etc).
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Aktive Mitgestaltung des Wandels (Menschen, Prozesse, Technologien, Mittelbeschaffung, etc.)
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Beschaffung und die Aktivierung der Ressourcen. Überwachung des Prozesses
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Überarbeiten der Ergebnisse, basierend auf gesammelten Daten.
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Verbesserungen planen
Lesestoff:
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Einen nachhaltigen systemischen Wandel erreichen: Ein integriertes Model einer pädagogischen Transformation (Achieving sustainable systemic change: An integrated model of educational transformation). Viele Bildungsgemeinschaften möchten einen nachhaltigen systemischen Wandel vorantreiben und neue Lehrmethoden und strukturelle Initiativen starten. Trotzdem gibt es einige Fehlschläge darin, eine starke Beteiligung im Wandlungsprozess und seinen Konsequenzen zu erreichen. Dieser Artikel berichtet über eine Studie, die vom Scotch College in Perth durchgeführt wurde. Es wurden Faktoren, die den Wandel beeinflussen, untersucht. Der Artikel bietet einen Überblick über die wichtigsten Faktoren, die einen effektiven Wandel behindern oder beschleunigen können.
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Systemischer Wandel: Konzeptueller Rahmen. Dieser Artikel bietet einen konzeptuellen Rahmen für systemische Wandlungsprozesse. Dieser konzeptuelle Rahmen wird durch Schlüsselideen gebildet, die sich in den Erfahrungen der AutorInnen in der Förderung des Wandels in Schulbezirken sowie in der Literaturanalyse zu pädagogischem Wandel abgezeichnet haben. Der Rahmen ist dazu gedacht, als Werkzeug für die Gestaltung und Erhaltung eines erfolgreichen systemischen Wandlungsprozesses zu dienen. Die AutorInnen präsentieren erst ein Argument für die Notwendigkeit eines systemischen Wandels. Danach begründen sie den konzeptuellen Rahmen durch Literatur zu systemischem Denken. Schlussendlich präsentieren die AutorInnen jedes Element des konzeptuellen Rahmens im Lichte des systemischen Wandlungsprozesses.
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Die Herausforderungen des ePortfolios als ein multidisziplinäres Beurteilungsinstrument. Dieses Beispiel zeigt, wie ein ePortfolio für die Beurteilung der programmatischen und professionellen Entwicklung von StudentInnen kurz vor dem akademischen Abschluss eingesetzt werden kann.
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Verbreitung von ePortfolios an der Complex Urban Research University: Die IUPUI Geschichte. Hier können Sie mehr über andere ePortfolio-Initiativen erfahren, bei denen ePortfolios die Entwicklung der StudentInnen, integratives und experimentelles Lernen, die Beurteilung von Lernergebnissen und die professionelle Präsentation unterstützen
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Beurteilung und Rückmeldung. Eine institutionelle Geschichte. JISC. Hier können Sie mehr über FASTECH (Feedback and Assessment for Students with Technology) erfahren – ein Projekt, das darauf fokussiert ist, Rückmeldungen und Beurteilungsprozesse in 15 Studiengänge an der Bath Spa University und der University of Winchester durch die Nutzung von Technologie zu fördern. Das Projekt hat StudentInnen dafür gewonnen, an Forschungsaktivitäten teilzunehmen, Ideen zu generieren, Fallstudien zu entwickeln, Blogs zu schreiben und diese bei Konferenzen zu präsentieren.
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Füllen Sie die Umfrage zur Bereitschaft für Wandel Change Readiness Survey aus und verbreiten Sie diesen bei anderen Mitgliedern Ihrer Organisation. Sammeln und analysieren Sie die Ergebnisse (Mittelwert und Prozentsatz) um zu erfahren, ob Ihre Organisation bereit für einen Wandel ist.
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Nutzen Sie die Maturity-Matrix, um die gegenwärtige Stufe der Reife zu definieren und zu identifizieren, welcher Reifegrad erreicht werden soll.
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Führen Sie eine SWOT-Analyse zu Ihrer Organisation (oder von einer bereits entwickelten Fallstudie aus Modul 2) durch und entwickeln Sie Empfehlungen für die Umsetzungen von Maßnahmen für einen systemischen Wandel.
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Veröffentlichen Sie die Ergebnisse Ihrer Analyse in Ihrem persönlichen Blog und laden Sie andere ein (z.B. Mitglieder Ihrer Organisation oder andere MOOC-TeilnehmerInnen), diese zu kommentieren.
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Für eine optimale Verbreitung Ihrer Ideen nutzen Sie den Kurs-Hashtag #ePcourse und den Hashtag der Europortfolio-Gemeinschaft #europortfolio.
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Überarbeiten Sie den Plan basierend auf den erhaltenen Kommentaren.
- Schreiben Sie eine kurze, reflektierte Erzählung über den ganzen Prozess (Bereitschaft für einen Wandel, Reifegrad, Planung der Maßnahmen mithilfe der SWOT-Analyse) und teilen Sie diese in ihrem persönlichen Blog.